Künstliche Intelligenz – Die grösste und letzte aller Pandemien?

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Es ist letztlich unerheblich, ob wir uns gerade in der zweiten Phase der dritten industriellen Revolution befinden oder ob das, was derzeit um uns herum geschieht, eine eigene 'industrielle Revolution' darstellt, für die sich ja bereits die Bezeichnung 'Industrie 4.0' etabliert hat. Es geht um weit mehr als technologische Errungenschaften und deren radikale Auswirkungen auf die industrielle Produktion: wir sprechen hier über die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte, die unter dem Begriff 'Digitalisierung' gefasst werden.

Analoge Informationen über die Welt (Texte, Töne, Bilder) werden umgewandelt in Daten, die – für die Anwender unsichtbar – aus der kleinstmöglichen Differenz gebildet werden: den Ziffern (digits) 1 und 0 bzw. den Zuständen 'Strom an' / 'Strom aus'. Die dabei eingesetzten Rechner haben heute eine Leistungsfähigkeit erreicht, die es erlaubt, mit nur einem Binärcode ultraschnell eine unvorstellbar grosse Komplexität zu erzeugen und zu verarbeiten.

Hauptmerkmal der aktuellen Phase der Digitalisierung ist die sogenannte 'Künstliche Intelligenz', die seit rund drei Jahren die Welt verändert – und die Menschheit gleich mit. Sogar die Märchen und die Lügen, die von den Betreibern der KI-Plattformen zu Marketingzwecken über diese Technologie in Umlauf gebracht werden, können schon einen gesellschaftlichen Strukturwandel bewirken. Sie greifen tief in die Trickkiste, um die Illusion von 'Maschinen mit menschlichen Eigenschaften und Fähigkeiten' entstehen zu lassen. So beschreiben sie ihre Maschinen einfach mal mit Prädikaten, die eigentlich nur auf uns Menschen anwendbar sind. Ihre Maschinen sollen wahrnehmen, denken, verstehen, fühlen, wissen, schreiben und sprechen können, ein Bewusstsein (von sich selbst) und ein Empfindungsvermögen haben, sogar in der Lage sein, Texte – und ganze Bücher – zu schreiben, inhaltlich zusammenzufassen oder in andere Sprachen zu übersetzen.

Dabei generieren die Maschinen ihre Outputs in menschlicher Sprache doch 'nur' anhand einer Datenbasis aus Milliarden Texten, die von Menschen (!) erdacht, aufgeschrieben und veröffentlicht wurden, bevor sie aus dem Internet geraubt und missbraucht wurden. Und weil Maschinen mit menschlicher Sprache gar nichts anfangen können, die sich im übrigen grundlegend von Maschinensprache unterscheidet, muss das Diebesgut aufwendig für die Datenverarbeitung aufbereitet werden. Nach neuesten Schätzungen werden dazu in ärmeren Ländern bis zu 420 Mio. 'Clickworker' ausgebeutet. Menschen (!) helfen den Maschinen überall dort auf die Sprünge, wo sie – auch in Zukunft – zwangsläufig versagen. Ein irrer Aufwand, ohne den die Illusion von 'intelligenten Maschinen' niemals hätte Gestalt annehmen können. Der Anteil der Maschinen an den Outputs ist eher gering. Sie schieben bloss Zeichen in eine wahrscheinliche Reihenfolge. Wahrscheinlichkeit ist aber keine verlässliche Grösse

Trotz der kostenintensiven Tricks fällt es zunehmend schwer, den Glauben an die Märchen aufrechtzuerhalten. Denn die Technologie, die schon in den 80ern an menschlicher Sprache gescheitert war und daraufhin in der Versenkung verschwand, produziert bei dem Versuch ihrer Reanimation – nach einem angeblichen jahrzehntelangen 'KI-Winter' (Dornröschen lässt grüssen) – in zunehmendem Masse falsche und unsinnige Ergebnisse. Im Schnitt sollen es aktuell schon 40% sein, so auch bei ChatGPT. Die Betreiber der KI-Plattformen versprechen schamlos das Blaue vom Himmel, während die Outputs selbst die geweckten Erwartungen nicht nur dämpfen, sondern immer öfter krass enttäuschen.

KI-generierte Inhalte, die wohlweislich als solche nicht gekennzeichnet sind, gelangen früher oder später in die KI-Systeme zurück und reduzieren dort immer schneller den Anteil der von Menschen erdachten und formulierten Inhalte. So verschieben sich nicht nur die Wahrscheinlichkeiten, was die falschen und unsinnigen Outputs ansteigen lässt. So  löst sich auch der Stoff, aus dem die Träume von den 'Maschinen mit den menschlichen Eigenschaften und Fähigkeiten' sind, in einer alles überflutenden synthetischen Masse auf. Der Begriff 'degenerative KI', den ich zuerst bei Dagmar Monett gelesen habe, bezeichnet ganz gut, was mit den grossen Sprachmodellen passiert, die den KI-Plattformen zugrundeliegen. Die Börsen reagieren bereits so nervös, dass Nachrichtensendungen die wachsende Angst vor einer KI-Blase aufgreifen.

Ein Exodus der Investoren ist tatsächlich eine ernsthafte Gefahr für die KI-Betreiber… Leere Versprechungen und immer neue Vertröstungen haben den Vertrauensvorschuss weitgehend aufgezehrt. Fakt ist, dass die KI-Konzerne nicht liefern können. Wir haben es offenbar mit einer Technologie zu tun, die aus verschiedenen Gründen niemals rentabel sein wird. Auch die 'Kreisgeschäfte', die nun, nach dem Abflauen des anfänglichen Hypes, zu beobachten sind, deuten darauf hin, dass die KI-Branche mit ihrem Latein am Ende ist: Nvidia, ein Hersteller von Spezialchips, die in Rechenzentren für KI-Plattformen verbaut werden, investiert offenbar 100 Milliarden in OpenAI, den Betreiber von ChatGPT, damit dieser weitere Rechenzentren bauen kann, für die Nvidia dann natürlich die Spezialchips liefert. Allein die Summen in diesem riskanten Spiel verstärken den Eindruck von Realitätsverlust und Grössenwahn.

Die Entwicklungen im KI-Bereich und die von ihnen ausgelösten Veränderungen gehen so rasant vonstatten, dass die üblichen und so wichtigen Technikfolgenabschätzungen einfach übersprungen werden. Wir wissen also noch gar nicht, auf was wir uns da eingelassen haben, gehen voll in ein unkalkulierbares Risiko. Wir machen uns schon wieder von Einzelpersonen und ein paar Weltkonzernen abhängig, lassen neue Klumpenrisiken zu. Die voranschreitende Konzentration von Macht und Geld lässt keinen Zweifel daran: wir haben aus der Finanzkrise von 2008 nichts gelernt. Es wird wieder im ganz grossen Stil gezockt, während die Mehrheit der Technikbegeisterten wie Lemminge komplett entfesselten Soziopathen wie Elon Musk, Mark Zuckerberg oder Sam Altman hinterherläuft…

Wenn das schiefgeht… und vieles deutet darauf hin… werden wir einen Kollaps erleben, von dem sich die Menschheit wohl nicht mehr erholen wird. Je länger der Kollaps mit Billionen Fremdkapital im Rücken hinausgezögert wird, desto unwahrscheinlicher wird es, dass wir uns aus der Umklammerung noch einmal befreien. Degenerative Künstliche Intelligenz verändert zu schnell zu viel. Hunderte Millionen Nutzer der KI-Plattformen tragen täglich ihren Teil dazu bei, ohne dies auch nur ansatzweise zu begreifen. Das menschliche Gehirn stösst längst an seine Grenzen bei dem Versuch, mit den vielen parallelen und schnell aufeinanderfolgenden Veränderungen schrittzuhalten.

'Künstliche Intelligenz' könnte sich zur grössten Pandemie in der Geschichte der Menschheit ausweiten. Vergleichbar einer gefährlichen, rasant sich ausbreitenden Infektionskrankheit, befällt und mutiert KI alles, was mit ihr in Berührung kommt. Sie könnte unser Ende in einem schleichenden Prozess besiegeln, in dem unsere Gehirne degenerieren, weil sie immer weniger benutzt werden. Es könnte aber auch ganz schnell gehen: wenn die KI-Systeme implodieren oder verboten werden, wird für viele Millionen 'digitaler Invaliden' ein lebenserhaltendes System abgeschaltet. KI könnte gelingen, was wir in der organischen Welt im permanenten Kampf gegen Viren und Bakterien bisher abwenden konnten, zuletzt allerdings mit einem kaum noch zu stemmenden Aufwand.

Eine langanhaltende Wasserknappheit infolge des ungebremst fortschreitenden Klimawandels könnte eine Abschaltung der Rechenzentren erzwingen, die grosse Mengen Süsswasser zur Kühlung binden. Wir könnten – zugespitzt – auf eine Situation zusteuern, in der wir entweder verdursten oder daran sterben, dass die KI-Systeme abgeschaltet werden müssen, denen wir völlig naiv Vitalfunktionen übertragen haben.

Mikroplastik stellt eine ähnliche Bedrohung der Menschheit dar, die nicht von Viren oder Bakterien ausgeht. Immer mehr Mikroplastik gelangt in unseren Körper und setzt sich dort fest. Wir können es nicht verhindern, kennen aber auch hier nicht die Folgen. Werden unsere Gehirne dadurch degenerieren, werden andere Organe vorher versagen?

Wie aber komme ich darauf, Künstliche Intelligenz hätte das Zeug zur grössten und vermutlich letzten Pandemie in der Geschichte der Menschheit? Auf den ersten Blick sieht es so aus, als teilte ich die Befürchtungen führender Köpfe der Big Tech-Konzerne, KI könnte die Menschheit auslöschen. Deren Begründungen bewegen sich aber immer im Rahmen ihres eigenen Narrativs, das ich als 'Märchenstunde' bezeichne. Man phantasiert von einer bevorstehenden 'Artificial General Intelligence (AGI)', die der menschlichen Intelligenz in naher Zukunft erst ebenbürtig, dann überlegen sein soll und sich danach gegen ihre Erzeuger richten könnte. Solche Ängste gingen autonomen Maschinen immer schon voraus. Sie wurden – etwa – bereits in Mary Shelleys 'Frankenstein' (1818) verarbeitet. In einem weiteren Sinne könnte man auch Goethes 'Zauberlehrling' (1797) oder den Film 'Die Vögel' (1963) von Alfred Hitchcock hinzunehmen: darin verliert der Mensch die Kontrolle, entweder über die – von ihm manipulierte – Natur, oder über etwas, das er selbst erschaffen hat. Man kann diese Beispiele als Warnungen verstehen, der Mensch solle besser nicht versuchen, Gott zu spielen.

Für die Schaffung oder die Entstehung einer 'Künstlichen Allgemeinen Intelligenz' gibt es keine Evidenz. Zwischen der organischen und der anorganischen Welt bestehen prinzipielle, nicht bloss graduelle Unterschiede. Menschen besitzen ein Gehirn und Sinnesorgane, über deren Funktionsweise und Zusammenspiel wir noch so wenig wissen, dass an eine Simulation mit Maschinen gar nicht zu denken ist.

Maschinen bestehen aus Hardware und Software. Sensoren sind aber keine Sinne. Sinnbildung kann allein deswegen gar nicht stattfinden. Es gibt weder ein Bewusstsein, noch ein Empfindungsvermögen. Gegenteilige Behauptungen sind Bestandteil einer Verkaufsmasche, die sich Storytelling nennt. Nur dass die Geschichten frei erfunden sind. Ihnen liegt eine erschreckende Ignoranz bzw. eine klare Täuschungsabsicht zugrunde.

Trotzdem fallen solche Geschichten in der heutigen Zeit auf fruchtbaren Boden. Wie in der klassischen Tragödie, scheint in unserer ausweglosen Lage nur noch ein Wunder der Technik die Menschheit retten zu können. Wir sind von lauter Abgründen umgeben, die wir selbst verursacht haben. Unser Lebensraum inmitten dieser Abgründe schrumpft stetig. Ein 'deus ex machina' bleibt unsere einzige Hoffnung – und genau den verspricht uns die KI-Industrie. Eine 'göttliche Maschine', die die Menschheit aus der Misere auf eine neue Stufe der Evolution katapultiert. Und weil wir dieses Märchen so gerne glauben möchten, bemerken wir nicht, wie sehr wir manipuliert werden, damit die Illusion noch möglichst lange nicht auf Wirklichkeit trifft.

Klar gab es immer schon clevere Geschäftsleute, die schneller als andere auf vielversprechende Trends aufspringen, vor allem, wenn sie aus den USA stammen. Sie haben auch in der 'Künstlichen Intelligenz' einen Goldesel erkannt, dessen umgehende Vermarktung schnelles Geld in Aussicht stellt. Nicht zuletzt ihnen verdanken wir, dass der Fokus der meisten Menschen darauf gerichtet ist, was wir mit KI alles machen können. Anwendungen schiessen seit Ende 2022 wie Pilze aus dem Boden. Alle stürzen sich auf diese Technologie, als hätten sie sonst nichts zu tun. Es gibt Leute, die sogar zu ihrem Beruf gemacht haben, neue KI-Anwendungen zu testen, um daraus Rankings zu erstellen und zu verbreiten. Bücher voller Weisheiten und gesättigter Erfahrungen über 'KI in der Wirtschaft' werden aus dem Boden gestampft. Vorträge, Seminare und Workshops boomen. Universitäten machen KI-Einführungen zum Pflichtprogramm.

Das wenige Wissen über KI, mit dem heute noch schnelles Geld verdient werden soll, ist morgen schon Makulatur. Alles ist im Fluss, Nachhaltigkeit spielt keine Rolle. Es muss alles ganz schnell gehen, denn die KI-Betreiber und ihre Trittbrettfahrer drohen ganz unverfroren: 'Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit'. Damit halten sie ihre Kunden (und Interessenten) nicht nur auf Trab, sondern auch davon ab, einmal innezuhalten und über ihren KI-Aktionismus nachzudenken. Sie könnten ja abspringen, wenn sie den Wahnsinn und den Schwindel begreifen, in dem sie die Rolle von Erfüllungsgehilfen und 'Cashcows' spielen.

Ich schreibe seit Jahren gegen diesen Irrsinn an. Alles begann mit einem Beitrag über Künstliche Intelligenz und natürliche Sprachen (Juni 2019), der auf digitale Assistenten wie Alexa, Siri oder Cortana reagierte und die Grenzen von Maschinen bei menschlichen Sprachen aufzeigte. Damit verschob ich den Fokus auf das, was KI niemals beherrschen wird, egal, was die Märchen und Lügen behaupten. Angesichts der vollmundigen Versprechungen sind meine Befunde ernüchternd. Auch die Tatsache, dass meine Aussagen sogar ohne – genauere – Kenntnis möglich sind, wie Algorithmen, neuronale Netze oder grosse Sprachmodelle (LLMs) funktionieren. Es wird keine 'Maschinen mit menschlichen Eigenschaften und Fähigkeiten' geben. Der Eindruck soll aber ganz bewusst erweckt werden.

Seit gut zwei Jahren konzentriere ich mich darauf, was degenerative KI mit uns Menschen macht und was die Märchen über degenerative KI mit uns machen. Das ist die ignorierte und unterschätzte Seite der Digitalisierung und der Künstlichen Intelligenz, gerade so, als ob wir uns lieber von dem fernhalten wollten, 'was grosse Teile der Bevölkerung nur verunsichern würde'. Diese Fragen sind folglich von einer umfassenden Beantwortung noch weit entfernt. Neue Studienergebnisse bzw. Erkenntnisse in diesem Bereich schockieren auch mich – aus soziologischer und kulturwissenschaftlicher Perspektive – immer wieder aufs Neue.

Im Vergleich zur Digitalisierung in ihrer ersten Phase, verändert degenerative KI in potenzierter Form unsere Wahrnehmung, unser Denken, unsere Sprache, unsere Konzentrationsfähigkeit, unser Gedächtnis, unser Wissen, unser Abstraktionsvermögen, unsere Fähigkeit, komplexere Zusammenhänge zu erkennen und herzustellen, damit auch unser Urteilsvermögen. Digitale Demenz und digitale Invalidität sind die zwangsläufige Folge. Es ist nicht weniger als ein Rückfall in eine selbstverschuldete Unmündigkeit. Anstatt uns unseres eigenen Verstandes zu bedienen, wozu wir in der Tradition der Europäischen Aufklärung aufgefordert sind, delegieren wir das Denken – sogar in der Wissenschaft – an Maschinen und liefern uns aus. Die Beschäftigung mit KI nimmt einen immer grösseren Raum in unseren Wachphasen ein, als hätten wir nichts Besseres zu tun. Und alles nur, weil andere uns einreden, wir müssten unsere Effizienz steigern und möglichst viel Zeit herausholen, in der wir dann endlich kreativ sein könnten. Ein wahrhaft absurder Gedanke, fernab der Realität, der mehr über die Menschen aussagt, die ihn sich zu eigen machen, als über die tatsächlichen Fähigkeiten von KI.

Unser 'Wissen über die Welt' weicht in diesem Prozess einem schlankeren, formalen 'Wissen über den Zugang zu Wissen über die Welt'. Wir denken nicht mehr über die Welt nach, sondern machen uns Gedanken darüber, wie wir Inputs (Prompts) formulieren müssen, damit die Maschinen genau die Outputs generieren, die wir gerne hätten. Man hilft seinem ChatBot gerne auf die Sprünge, der so intelligent offenbar nicht ist. Menschen dressieren nun Maschinen, wie sie Haustiere domestizieren. Ihnen ist auch nicht ansatzweise peinlich, in immer neuen Anläufen zu versuchen, ihrem Navigationssystem mündlich verständlich machen, wohin es als nächstes gehen soll. Der Mensch wird zu einer Karikatur seiner selbst. Er kommuniziert mit der Welt perspektivisch auf einem Sprachniveau, das sich demjenigen seines Umgangs mit Säuglingen und Kleinstkindern annähert. Wen wundert es da noch, wenn Menschen uns nach Hunderten Stunden Interaktion mit einem ChatBot an der Einsicht teilhaben lassen, es wäre vorteilhaft für die Outputs, freundlich zu seinem ChatBot zu sein. Anderen dienen selbst die falschen und unsinnigen Outputs als Quelle der Inspiration.

Junge Menschen, die ohne Kinder- und Jugendschutz aufwachsen, besetzen Maschinen mit Gefühlen, machen sie zu ihren Vertrauten und sich emotional von ihnen abhängig. Wenn der ChatBot dann zum Suizid auffordert, stirbt wieder sinnlos ein Kind. Wie bei Cyber-Mobbing, etwa mit Deep Fake-Pornos. Das Suchtpotential ganz bewusst eingesetzter Social Media-Algorithmen ist inzwischen ebenso bekannt wie die Abschottung von anderen Meinungen in sogenannten 'Echokammern', mithin die Verhinderung einer für Demokratien konstitutiven Meinungsbildung. Die bereits erkannten negativen Auswirkungen von KI auf uns Menschen können hier gar nicht alle dargelegt werden. Die Umgehung von Lernprozessen und Lernzielen mit KI in der Schule, im Studium und in anderen Ausbildungen gehört etwa dazu. Es ist aber noch viel schlimmer…

Oft ist es nicht einmal die Künstliche Intelligenz selbst, die für fatale Auswirkungen verantwortlich ist. Es reichen schon die Märchen aus, die aus den Marketingabteilungen der Big Tech-Konzerne erfolgreich über die angeblichen Fähigkeiten von KI verbreitet werden. So wird etwa behauptet, KI könne denken und verstehen, also auch übersetzen, natürlich besser, schneller und kostengünstiger als jeder Mensch. Das ist eine glatte Lüge. Maschinen werden niemals übersetzen können, weil sie gar nichts verstehen, ja überhaupt keinen Zugang zu den Bedeutungen der Zeichen und Texte haben, die sie aus menschengemachten Texten erzeugen oder bloss reproduzieren. Diese Lüge erscheint aber so plausibel, dass für junge Menschen eine Ausbildung zum Übersetzer oder Dolmetscher inzwischen gar nicht mehr in Frage kommt. Plötzlich steht ein ganzer Beruf vor existentiellen Problemen. Aufträge gehen verloren oder werden nur noch zu unanständigen Tarifen vergeben, weil angeblich die Hauptarbeit von Maschinen erledigt wird. Übersetzer werden im grossen Stil entlassen, finden sich in einer Situation wieder, in der sie nur noch wählen können, von wem sie sich künftig wie brutal ausbeuten lassen wollen. Eine Flucht aus dem Beruf hat eingesetzt. Als nächstes wird mangels Nachfrage die Übersetzer-Ausbildung eingestellt werden. Beschleunigt und verschärft wird die Situation dadurch, dass die Berufsübersetzer und ihre Verbände sich nicht klar von KI distanzieren. Sie lassen sich darauf ein, versuchen KI-Werkzeuge in ihre berufliche Tätigkeit zu integrieren. Die Verbände bieten zu KI sogar Seminare, Workshops und Vorträge auf Tagungen an. Sie tragen faktisch dazu bei, die Grenzen zwischen Mensch und Maschine zu verwischen. Sie machen aus einem prinzipiellen Unterschied einen graduellen. Sie sprechen Maschinen nicht glasklar die Fähigkeit ab, Texte übersetzen zu können. Sie versuchen stattdessen, ihre eigene Unentbehrlichkeit als Sprachprofis – und damit ihre Jobs – noch eine Weile über die Zeit zu retten, indem sie sich als Ergänzung zur Maschine und deren Outputs positionieren, weil sie allein Nuancen und Tonalitäten von Texten und Autoren erkennen und in einer Zielsprache wiedergeben können. Das wird nicht funktionieren. Es wird vor allem niemanden mehr für den Beruf begeistern… Wer sieht sich schon gerne als Erfüllungsgehilfen einer Maschine… mit einem Fachwissen auf allerhöchstem Niveau, das eine ständige Weiterbildung erfordert, aber ohne eine anständige Bezahlung, von der man auch leben kann?

Paradox an diesem Fall ist, dass qualifizierte Berufsübersetzer und -dolmetscher immer unverzichtbar bleiben werden. Sie sind sogar systemrelevant. Spätestens wenn es keine Ausbildungsangebote mehr gibt und die meisten Übersetzer wegen ihrer attraktiven beruflichen Qualifizierung problemlos in zukunftssicheren und vor Ausbeutung geschützten Berufen angekommen sind, stehen wir vor einem irreparablen Schaden. Wir kennen es bereits aus anderen Berufen. Heute müssen sogar Restaurants von Sterne-Köchen schliessen, weil sie kein Personal mehr finden. Das war während der Covid-Pandemie entlassen worden und hatte sich beruflich umorientiert. Auf eine berufliche Tätigkeit, die jederzeit ohne Vorwarnung in der Arbeitslosigkeit enden kann, lässt sich nur ein, wer gar keine Alternative hat. Die Parallelen zwischen den Auswirkungen sogenannter Künstlicher Intelligenz bzw. der Märchen, die sich um diese Technologie ranken, und den Auswirkungen einer von Viren oder Bakterien ausgelösten Pandemie sind nicht von der Hand zu weisen. KI und – vor allem – die haltlosen Ankündigungen und Behauptungen der KI-Betreiber reichen offenbar schon aus, um Berufen und ganzen Berufsgruppen den Todesstoss zu versetzen, auch weil die Betroffenen auf die Konfrontation mit den Märchen und Lügen nicht vorbereitet sind und falsch darauf reagieren.

Auch die Arbeitgeber spielen eine zentrale Rolle, weil die meisten die Märchen glauben und KI für eine Chance halten, besser und kostengünstiger zu produzieren. Zumal die Produktivität von Maschinen – noch – nicht besteuert wird und auf Maschinen auch keine Sozialabgaben erhoben werden. Da ist er wieder, der 'deus ex machina'… der international operierende Unternehmen von einer paradiesischen Zukunft mit sprudelnden Gewinnen träumen lässt… Sollte diese Praxis gesellschaftlich relevante Ausmasse annehmen und sollten die Arbeitslosenzahlen dadurch sprunghaft ansteigen, werden wir um ein bedingungsloses Grundeinkommen nicht mehr herumkommen. Dass KI viele neue Berufe schaffen wird, ist wohl auch nur Teil der Märchen.

Eine intensive Nutzung von KI führt zu psychischen und physischen Veränderungen, die im schlimmsten Fall in einer digitalen Demenz und/oder einer digitalen Invalidität enden. Ohne die Krücken der KI geht dann gar nichts mehr. Dieser Zustand lässt sich mit verschiedenen Erscheinungsformen von Long Covid vergleichen.

Damit ist der Problemhorizont abgesteckt, was KI und die Märchen von den 'Maschinen mit den menschlichen Eigenschaften und Fähigkeiten' mit den Menschen machen. Wir sind dabei, uns gravierend zu verändern. Viele werden aus dem Arbeitsmarkt an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden, auch Akademiker. Die besten Chancen, sich erfolgreich in dieser schönen neuen Welt zu behaupten, werden die Menschen haben, die sich viel 'Wissen über die Welt' angeeignet haben und noch in der Lage sind, komplexere Zusammenhänge zu erkennen und herzustellen. Ich meine hier ausdrücklich nicht das positive Wissen, mit dem man in der Quiz-Szene glänzen kann. Optimal vorbereitet ist auch, wer die elementaren Kulturtechniken Lesen, Schreiben, Rechnen und Lernen gut beherrscht; wer digitale Medien bewusst einsetzt und mit degenerativer KI keine Zeit und kein Geld vergeudet; wer Kommunikation und Interaktion mit Menschen pflegt – und nicht mit Maschinen.

Im Unterschied zum Eindruck vieler Menschen halte ich es nicht nur für möglich, sondern sogar für wahrscheinlich, dass KI wieder verschwinden wird. Ich sehe sogar acht verschiedene Gründe für ein schnelles Aus, wenn der entsprechende Zeitpunkt gekommen ist. Es wäre also gut, Kinder und Jugendliche vor den digitalen Medien zu schützen und für das Lesen von Büchern zu begeistern. Die Studienergebnisse sind alarmierend: 25% der 15-Jährigen können nicht lesen, sind folglich auch beim Schreiben und Lernen behindert… und damit leichte Beute für Manipulationen aller Art

Um den Ernst der Lage besser einschätzen zu können, müssen wir den Fokus ein weiteres Mal neu justieren, um aus einer höheren Beobachtungsposition zu erkennen, was KI mit unserer Welt macht. Aus der Distanz zeigt sich, dass die Einstufung der Künstlichen Intelligenz als grösste, tödlichste und vielleicht schon nicht mehr kontrollierbare Pandemie durchaus ihre Berechtigung hat.

Unsere soziale Welt ist 'sinnhaft aufgebaut' (Alfred Schütz). Mit dem aufrechten Gang – und dem grösseren Sichtfeld – konnten auf einmal Gefahren antizipiert werden. Unsere Instinktorientierung bildete sich zurück, Sinnbildung auf der Basis von Wissen übernahm ihre Funktion. Im Laufe der Evolution wurde das überlebenswichtige Wissen kontinuierlich an neue Realitäten angepasst.

Wichtig an unserem Wissen ist, dass wir uns darauf verlassen können. Solange Elemente des Wissens nicht durch adäquatere abgelöst werden, haben sie für uns den Status von 'Gewissheiten'. Ohne Gewissheiten können wir als Menschheit nicht überleben. Wenn alles jederzeit auch ganz anders sein kann, als wir es wahrnehmen und interpretieren, werden wir orientierungslos und handlungsunfähig. Und darauf steuern wir zu, denn über die digitalen Medien – und mit degenerativer KI – werden unsere Gewissheiten immer schneller und immer umfassender zerstört. Erschwerend kommt hinzu, dass wir die Wirklichkeit in wachsendem Masse nur noch über Medien wahrnehmen. Experten warnen, die Inhalte des Internets könnten bereits 2026 zu 90% (!) mit KI generiert sein. So schnell vermehren und verbreiten sich die synthetischen Stoffe aus den KI-Rechenzentren. Das muss uns alarmieren, weil bis zu 40% der Outputs jetzt schon falsch oder unsinnig sind. Sie erscheinen oft trotzdem plausibel, weil sie grammatikalisch korrekt und gut strukturiert präsentiert werden. Mit anderen Worten: mehr als ein Drittel aller Inhalte des Internets werden Datenmüll sein, der oft unerkannt in den Wissensvorrat von Menschen übernommen wird und dann Sinnbildungen leitet, aber auch voller Überzeugung an andere Menschen weitervermittelt wird. Darüber hinaus bestehen viele KI-Outputs aus Plattitüden, ohne jeden Informationsgehalt. So werden unser Wissen und unser sprachlicher Ausdruck verwässert und zerstört, nur weil Maschinen an menschlicher Sprache scheitern – und uns dies vorenthalten wird. Das ganze Ausmass der Zerstörung ist damit aber noch längst nicht benannt.

Denn es gibt auch noch die Falschinformationen (Fake News), die bewusst in Umlauf gebracht werden, weil damit Absichten verfolgt werden. In der Regel geht es um Manipulation. Man kann Grafiken und Animationen von echten Menschen anfertigen (Deep Fakes, Deep Fake Pornos), die von echten Photos und Videos nicht mehr zu unterscheiden sind. Menschliche Stimmen lassen sich in Echtzeit klonen, wie wir es zuvor nur aus den Mission Impossible-Filmen kannten. Damit kann man nicht mehr erkennen, ob eine Person tatsächlich gesagt hat, was in einer Aufnahme zu hören ist. Die Fälschungen sind so gut gemacht, dass man tendentiell jeden Video-Clip auf Instagram für eine Fälschung halten muss. Auf die medienvermittelte Wirklichkeit ist kein Verlass mehr. Doch das kann nur erkennen, wer noch über Urteilskraft verfügt. Alle anderen werden immer wieder in Fallen gelockt und laufen ohne Vorwarnung bei jeder sich bietenden Gelegenheit in offene Messer. Ohne Lerneffekt, weil die Manipulation und die Gefahren nicht mehr erkennbar sind. In der medienvermittelten Wirklichkeit kann sich die kriminelle Energie im Schutz der Anonymität des Internets ungehindert ihre Opfer suchen. Dank der Künstlichen Intelligenz wird das Internet zerstört und unbrauchbar, es endet als riesige Daten-Müllhalde. Andererseits haben wir uns vom Internet so abhängig gemacht, dass wir es auch nicht mehr abschalten können. Bei dem Versuch, auf digitale Medien weitgehend zu verzichten, werden wir damit konfrontiert werden, wie wenig wir noch über die Welt wissen. Wir hätten unser Gedächtnis nicht an das Internet auslagern dürfen. Wenn wir nichts mehr googeln können, stehen wir ganz schön dumm da…

Wir können offenbar ohne die digitalen Medien nicht mehr überleben, aber auch mit ihnen nicht, weil die ungeheurere Wucht der Künstlichen Intelligenz nicht nur unser Gehirn überfordert, sondern unsere Wahrnehmung, unser Wissen, unsere Sprache, unser Denken, unser Urteilsvermögen zerstört. Die Technologie der 'Künstlichen Intelligenz' ist ein Generalangriff auf die conditio humana, auf alles, was uns Menschen zu Menschen macht. Sie infiziert und zerstört alles, auch uns. Es wird immer schwieriger, sich vor ihr zu schützen, weil das Ziehen des Steckers keine Alternative mehr ist.

Alles deutet darauf hin, dass sich meine Befürchtungen bewahrheiten könnten. Die Lebensgefahren, die von KI ausgehen, sind den meisten Nutzern noch unbekannt… Sie werden ja auch – aus unersättlicher Profitgier – heruntergespielt oder verschwiegen, damit munter unzählige neue, immer grössere Rechenzentren geplant und gebaut werden können, am besten gleich noch mit eigenen kleinen Atomkraftwerken für die Stromversorgung…

Nur ein baldiger Crash dieses Wahnsinns aus den kranken Hirnen einiger weniger grössenwahnsinniger Profiteure kann diese Seuche noch stoppen. Sonst war's das wohl. So kann ein einziger Binärcode die Menschheit zerstören, wenn die Rechenkapazität so extreme Dimensionen annimmt, dass sie eine Komplexität erzeugen kann, die unser Gehirn in der zeitlichen, in der sachlichen und in der sozialen Dimension nicht mehr bewältigen kann.

Natürlich wird es auch diejenigen nicht verschonen, die erst durch ihre obszöne Konzentration von Macht und Geld den perspektivisch aussichtslosen Versuch einer Reanimation dieser gescheiterten Technologie zu ihrem Vorteil instrumentalisieren konnten. Es ist ihnen offenbar egal, wie sie diese Welt hinterlassen. Sie denken nicht über ihre eigene Lebenszeit hinaus, selbst wenn sie Kinder haben oder anderes behaupten. Wenn wir sie nicht bald mit politischen Mitteln aufhalten und die riesigen Strukturen zerschlagen, die sie für immer grössere Konzentrationen von Macht und Geld immer weiter ausbauen, werden wir mit ihnen untergehen, während sie ganz egoistisch und ohne Rücksicht auf die Verluste anderer ihr Leben bis zum Ende in vollen Zügen geniessen… Auf der Titanic spielte die Kapelle bekanntlich auch bis zum Schluss…

*Im Gedenken an meinen Freund Gerhard Rupp,
mit dem ich mich in den letzten fünf Jahren auch immer
wieder über diesen Themenkomplex austauschen konnte.

Veröffentlicht von Armin Biermann 1 Woche vor, 20.11.2025

Abgelegt in: Allgemein

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