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Die beiden Ebenen der Kommunikation

Bücher lösen zwar keine Revolutionen aus, sie können uns aber prägen und unserem Leben eine Wendung geben… Indem sie uns Geschichten erzählen, mit denen wir unserer Alltagswelt entfliehen und die natürlichen Grenzen unserer Lebenswelt hinter uns lassen. Indem sie uns unbekannte Welten beschreiben und an Wissensgebiete heranführen. Oder indem sie uns kleine und grosse Zusammenhänge erklären und dadurch zu einem besseren Verständnis der Welt beitragen. Der geniale italienische Semiotiker und Schriftsteller Umberto Eco (1932-1916) hat in seinem Meisterwerk Der Name der Rose einmal genüsslich und mit viel Liebe zum Detail das gesamte Repertoire literarischer und sprachlicher Ausdrucksformen durchkomponiert, wie es nur ein Universalgelehrter versteht, zu dessen Spezialgebieten auch die Wissenschaft von den Zeichensystemen zählt.

In Büchern steckt das Potential, uns für bestimmte Sachverhalte die Augen zu öffnen und etwas auf den Begriff zu bringen, das wir vorbewusst schon lange geahnt oder gespürt haben. Welche Bücher sich dazu am besten eignen, hängt von persönlichen Neigungen, aber auch davon ab, in welcher Zeit, in welcher Kultur und in welchem Umfeld wir aufwachsen und leben. Das Wissen, das wir bei der Lektüre an ein Buch herantragen, spielt ebenfalls eine Rolle.

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Von Armin Biermann in Allgemein

vor 5 Monaten, 16 Minuten Lesezeit

Schreiben unter den Bedingungen Künstlicher Intelligenz*

Als ich Mitte der 80er Jahre als Gasthörer an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris studierte und für meine Dissertation in der alten Bibliothèque Nationale in der Rue de Richelieu forschte, konnte ich den Vorabend der Digitalisierung im Bibliothekswesen hautnah miterleben. Um die Bücher früherer Jahrhunderte ein für allemal vor dem schädlichen Licht und dem zersetzenden Schweiss blätternder Hände zu schützen, hatte man damit begonnen, sie Seite für Seite zu scannen und auf 'Microfiches' bzw. 'Microfilme' zu übertragen. Die Reihenfolge dieser 'Literaturverfilmungen' wurde intelligenterweise von der Ausleihe bestimmt.

So war ich bei vielen Büchern aus der Französischen Aufklärung der letzte Forscher, der sie in den Händen halten und im sehenswerten ovalen Lesesaal – oder unter wachsamer Aufsicht im Hémicycle – lesen durfte. Bei der nächsten Ausleihe wurde dann nur noch eine Filmrolle herausgegeben, für die in den wenig spektakulären Gängen der ansonsten beeindruckenden – und seit September 2022 nach 10jähriger Restaurierung der Öffentlichkeit zugänglichen – Bibliothèque Richelieu erste Arbeitsplätze mit Lesegeräten eingerichtet worden waren.

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Von Armin Biermann in Allgemein

vor 7 Monaten, 16 Minuten Lesezeit

Die Mär von der erwachenden Künstlichen Intelligenz

Die Aufspaltung der Wissenschaften in zwei Bereiche – die 'Geisteswissenschaften' und die 'Naturwissenschaften' – fand, was viele gar nicht wissen, erst im XIX. Jahrhundert statt. Der deutsche Begriff für die 'Humanwissenschaften' entstand während der Epoche der Aufklärung und soll auf Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) zurückgehen, der sich eingehend mit dem Verhältnis von 'Natur' und menschlichem 'Geist' befasste.

Bevor sich die neue Leitdifferenz 'Mensch/Natur' erkenntnistheoretisch und wissenschaftsgeschichtlich durchsetzte, war es normal, dass Universalgelehrte sich in beinahe allen Wissensgebieten auskannten, forschten und publizierten. So hat etwa ein Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) neben seinem literarischen Werk auch – in der Auseinandersetzung mit dem Physiker Isaac Newton (1642-1726) – eine Farbenlehre (1810) entwickelt, die heute noch Beachtung findet. Auch der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) oder der Naturforscher Alexander von Humboldt (1769-1859) kannten bei ihrer wissenschaftlichen Arbeit – zum Glück für die Nachwelt – keine Grenzen.

Schon der aus der römischen Antike überlieferte Satz mens sana in corpore sano enthält die Vorstellung, ein gesunder Geist (Mensch) und ein gesunder Körper (Natur) bildeten eine unzertrennliche Einheit. Mit der Geburt der Geisteswissenschaften endete folglich eine Traditionslinie, die vermutlich über unsere Zeitrechnung hinaus zurückreicht.

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Von Armin Biermann in Allgemein

vor 9 Monaten, 15 Minuten Lesezeit

Unterschätzte Nebenwirkungen der Digitalisierung

Nebenwirkungen sind stets unerwünscht und nie beabsichtigt. Sie können bei Produkten, Prozessen und Handlungen auftreten, lassen sich oft gar nicht verhindern. Mal fallen sie harmlos aus und bleiben fast unbemerkt, mal erweisen sie sich als schädlich oder sogar lebensbedrohlich. Um Schaden abzuwenden, werden – wo möglich – im Vorfeld Rahmenbedingungen definiert und obligatorische Schutzmassnahmen etabliert, etwa der Nachweis von Qualifikationen, komplexe Bewilligungsverfahren oder regelmässige Qualitätskontrollen. Bei Verstössen drohen Sanktionen, bis hin zu Freiheitsentzug.

Produkte mit gefährlichen Nebenwirkungen benötigen eine Zulassung, dürfen nur unter bestimmten Bedingungen verwendet und können aufgrund neuer Erkenntnisse jederzeit wieder vom Markt genommen werden. Je gravierender die Auswirkungen sein können, desto grösser sind die zu erwartenden Vorbehalte gegenüber einem Produkt. Vielleicht finden Nebenwirkungen ja deshalb ihre gesetzlich vorgeschriebene Erwähnung meistens nur im Kleingedruckten von Beipackzetteln, das mit blossem Auge kaum zu entziffern ist. Werbung für Arzneimittel muss dagegen immer klar und deutlich dazu auffordern, zu Risiken und Nebenwirkungen einen Arzt oder Apotheker zu konsultieren.

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Von Armin Biermann in Allgemein

vor 11 Monaten, 14 Minuten Lesezeit

Die Freiheit nehm‘ ich mir

Wer kennt ihn nicht, den Slogan aus dem Jahre 1992, der vor allem die weibliche Kundschaft zu – mehr – spontanen Käufen mit einer Visa Card animieren wollte und damit vermutlich voll den Zeitgeist traf? Kaum jemand dürfte damals geahnt haben, dass diese, von einer Kampagne lancierte Maxime schon bald das Verhalten, die Mentalität und das Lebensgefühl der Millennials und ihrer nachgeborenen Generationen prägen und charakterisieren sollte. Nicht von ungefähr setzte sich parallel dazu der Neoliberalismus mit einer ähnlichen Vorstellung von 'Freiheit' in der Wirtschaftspolitik des Westens durch.

Bei näherer Betrachtung verdichtet sich der Eindruck, dass krass etwas schiefgelaufen sein muss, wenn dieses Verständnis von 'Freiheit' seit dreissig Jahren dominiert. Denn die Freiheiten, die ich mir einfach mal nehme, haben oft einen – mitunter hohen – Preis, den andere bezahlen müssen… Wie konnte sich diese Ungerechtigkeit so ausbreiten und als Normalität etablieren? Und kann man dagegen überhaupt noch etwas unternehmen?

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Von Armin Biermann in Allgemein

vor 12 Monaten, 18 Minuten Lesezeit

Apocalypse Now

Als Francis Ford Coppolas Meisterwerk über den Wahnsinn des Krieges 1979 in die Kinos kam, löste es unter uns Studenten kontroverse Diskussionen aus, wie ich sie selten erlebt habe. Einige sahen darin eine inakzeptable Verherrlichung von Gewalt, andere hielten dem Regisseur vor, Gewalt durch schöne, mit – klassischer – Musik unterlegte Bilder zu ästhetisieren – und auf diese Weise sträflich zu verharmlosen. Eine dritte Gruppe teilte meine Auffassung, Coppola sei ein genialer Antikriegsfilm gelungen, der über solche Vorwürfe erhaben sei.

An Apocalypse Now scheiden sich vermutlich heute noch die Geister. Wer diese schwere Kost bis zum Ende angeschaut und das barbarische Gemetzel ausgehalten hat, wird die Bilder wohl nie wieder vergessen und begriffen haben, dass Krieg um alles in der Welt verhindert bzw. beendet werden muss. Denn die Realität ist unendlich viel grausamer als eine filmische Annäherung – zur Abschreckung – je darzustellen vermag. Leider vergeht bis heute kein einziger Tag, an dem nicht irgendwo auf der Welt kriegerische Auseinandersetzungen und unerträgliche Rückfälle in die Barbarei stattfinden.

Coppolas Film, der auf die Gräuel des Vietnamkrieges reagierte, hat – zum Entsetzen vieler Menschen – nichts von seiner Aktualität eingebüsst. Der Wahnsinn ist zurück, und 'Apocalypse Now' bringt gerade ziemlich treffend die Stimmung und die Befürchtungen auf den Begriff, die viel zu viele Ereignisse und Entwicklungen der letzten Zeit heraufbeschworen haben. Selbst unerschütterliche Optimisten gelangen an ihre Grenzen…

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Von Armin Biermann in Allgemein

vor 1 Jahr, 11 Minuten Lesezeit

Wenn digitale Medien auf wenig Bildung treffen

Seit nunmehr vier Jahren beschäftige ich mich in meinem Blog mit Phänomenen unserer heutigen Gesellschaften, die durch die Digitalisierung entweder entstanden sind oder grössere Bekanntheit und Bedeutung erlangt haben. Oft geht es um Problemlagen, für die mit wachsender Dringlichkeit Lösungen gefunden werden müssen, während ihr ganzes Ausmass und ihre volle Tragweite noch kaum überblickt werden. Meine Analysen, bei denen sich erstaunlich viele Kreise zu meinen soziologischen und kulturwissenschaftlichen Studien schliessen, die bis in die 80er Jahre zurückreichen, landen aus ganz verschiedenen Richtungen – und sicher nicht zufällig – immer wieder bei demselben Ergebnis: viele unserer grössten Herausforderungen lassen sich hauptsächlich zwei Ursachen zuordnen, welche ihre negativen Effekte zudem wechselseitig verstärken, wenn sie aufeinandertreffen: ein niedriges Bildungsniveau und digitale Medien.

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Von Armin Biermann in Allgemein

vor 1 Jahr, 21 Minuten Lesezeit

Verfall und Ende des anthropozentrischen Weltbildes

Dieser Sommer der Extreme hat uns mit epochalen Naturereignissen heimgesucht. In Bern sahen wir die Sonne in den letzten Wochen immer nur für Momente, Tageshöchstwerte unter 18° C waren in diesem Juli keine Seltenheit. Das riesige Tief über Europa drehte sich auf der Stelle und saugte wohl unaufhörlich Luftfeuchtigkeit aus dem Mittelmeer-Raum an, die es dann über uns abregnen liess. Luzern stand teilweise unter Wasser, Bern war bis vor kurzem akut bedroht. Schlimmer ist die Situation in Deutschland, wo in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen binnen 24 Stunden bis zu 163 Liter/m² fielen, was Bäche und Flüsse in rohe Naturgewalten verwandelte, die es dort so wohl noch nie gegeben hatte. Die Wassermassen rissen Häuser und Brücken fort, machten ganze Dörfer dem Erdboden gleich. Aus den Spuren der Verwüstung wurden schon über 150 Todesopfer geborgen, viele Menschen werden noch vermisst. Unter einem ähnlichen Schicksal leiden auch andere Regionen der Erde, in denen wochen- und monatelang auf der Stelle rotierende Hochs die Luft auf bis zu 56° erhitzen und verheerende Brände auslösen. Die Temperaturen sind so extrem, dass das Wasser aus den Löschflugzeugen verdunstet, bevor es auf die Flammen trifft. Die Anzahl der nachweislichen Hitzetoten nimmt weltweit signifikant zu.

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Von Armin Biermann in Allgemein

vor 2 Jahren, 15 Minuten Lesezeit

Über strukturelle Probleme und erzwungene Strukturwandel

In letzter Zeit verzeichnen wir eine ungewöhnliche Häufung schrecklicher Missstände, die in ganz verschiedenen Bereichen unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaften aufgedeckt werden und zu Recht die Aufmerksamkeit einer breiten Öffentlichkeit erregen. Der eigentliche Skandal besteht oft darin, dass sie so lange erfolgreich vertuscht werden konnten, obwohl sich darunter wirklich krasse Fälle befinden. Doch nun laufen ja immer gleich die hochauflösenden Kameras zufällig anwesender Smartphones mit und übertragen jedes skandalträchtige Geschehen live und ungefiltert in die sozialen Medien. Viele der Aufnahmen erreichen so binnen kürzester Zeit ein Millionenpublikum rund um den Globus. Zuletzt kamen Orte mit besonders heftigen Infektionsgeschehen ans Licht, an denen Menschen unter unwürdigen Verhältnissen ein völlig schutzloses Dasein fristen, etwa in der Landwirtschaft zur Erntezeit oder in der fleischverarbeitenden Industrie. Auch die quälend lange Erstickung des Afroamerikaners George Floyd durch einen rassistischen Polizisten bei einer Kontrolle am 25. Mai 2020 löste Entsetzen auf der ganzen Welt aus. Seither kreisen schlimmste Befürchtungen um die Fragen, welche menschlichen Abgründe uns sonst noch verheimlicht werden und wie hoch die Dunkelziffer der gravierenden Missstände wohl sein mag…

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Von Armin Biermann in Allgemein

vor 2 Jahren, 13 Minuten Lesezeit

Dolmetschervermittlung zwischen Anspruch und Realität

Das Internet zeichnet sich durch den unbestreitbaren Vorteil aus, mit ganz verschiedenen Geräten (Smartphones, Tablets, Computern, TV etc.) fast immer und überall zugänglich zu sein. Folglich eignet es sich ideal für den Aufbau von Plattformen für die Koordinierung der Kommunikation zwischen Menschen mit konvergierenden Interessen. Darunter fällt seit längerem auch die Vermittlung von Freiberuflern aus verschiedenen Berufsgruppen.

Bhaasha ist eine solche Plattform, über die Dolmetschdienste freiberufliche Dolmetscher vermitteln können sollen, wie der Slogan auf der Website verkündet: „Den richtigen Dolmetscher finden – Wann und wo sie ihn benötigen“. Die Macher hinter Bhaasha sehen ihre Aufgabe folgendermassen: „Wir entwickeln Technologien, um Zugriff auf kompetente Dolmetscher anzubieten, Kommunikation über sprachliche Barrieren hinaus sicherzustellen und so letztendlich jeder Person die Möglichkeit für einen diskriminierungsfreien Zugang zu Dienstleistungen in den Bereichen Gesundheit, Soziales, Bildung und Justiz zu geben“. Und bewerkstelligen wollen sie das so: „Wir bringen innovative Technologien und entsprechende IT-Rechenleistung ein, um die Effizienz im Bereich interkulturelles Dolmetschen und Vermitteln zu optimieren und einen individuellen zeit- und sachgerechten Zugriff auf Dolmetscher zu gewährleisten“ (Hervorhebungen innerhalb der Zitate von mir).

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Von Armin Biermann in Rückschritt durch Technik

vor 4 Jahren, 14 Minuten Lesezeit