Über den Faszinationstyp Quiz in der Gegenwart

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Quiz-Shows, gerne auch kombiniert mit Spieleinlagen, haben seit Ende der 1950er Jahre ihren festen Platz in der Programmlandschaft der deutschen Fernsehunterhaltung. Die wöchentlich oder monatlich ausgestrahlten Formate begeisterten damals schon – nicht nur aufgrund eines noch sehr bescheidenen Programmangebots – ein Millionenpublikum und erlangten zum Teil sogar Kultstatus, bevor sie irgendwann wieder von der Bildfläche verschwanden. Neuauflagen wie bei der legendären Show Einer wird gewinnen (nach zehn Jahren Unterbrechung!) blieben die Ausnahme.

Seit 20 Jahren lässt sich nun ein verblüffender Trend beobachten: angefangen mit Wer wird Millionär? (1999) sind über 50 neue Quiz-Formate wie Pilze aus dem Boden geschossen, weitere kommen laufend hinzu oder sind in Vorbereitung. Staffeln einzelner Formate laufen wochen- oder monatelang montags bis freitags im Vorabendprogramm, ohne erkennbare Anzeichen einer Ermüdung oder Abnutzung. Derzeit ist nur schwer vorstellbar, dass eines dieser Formate je wieder ganz aus dem Programm genommen werden könnte, was sich nicht zuletzt im selbstbewussten Auftreten der Hauptakteure widerspiegelt. Und weil die massenhaft produzierten Sendungen auch noch zu jeder Tages- und Nachtzeit wiederholt werden, kann man inzwischen rund um die Uhr Ratespiele auf mindestens einem der Fernsehkanäle verfolgen – und bei deren Erstausstrahlung nicht selten per Telefon oder App daran teilnehmen. Und das ist nur die Spitze des Eisberges…

Seit 2011 wird 'Quizzen' in Deutschland als vereinsmässig organisierter Wettkampfsport betrieben. Viele 'Champions' aus Quiz-Sendungen, Quiz-Turnieren in bald jeder grösseren deutschen Stadt und Quiz-Meisterschaften führen nicht nur die Ranglisten des Deutschen Quizvereins an, sondern bieten unter Kampfnamen wie 'Quiz-Gott', 'Quiz-Gigant' oder 'Quiz-Königin' nebenberuflich 'Quiz-Dienstleistungen' an, treten in Fernsehshows als 'Experten' oder 'Jäger' gegen mehr oder minder prominente Kandidaten auf, die für sich selbst oder einen guten Zweck möglichst viel Geld erspielen möchten. Mit dem Geschichtsprofessor Eckhard Freise begann schon Ende 2000 die Ära der Quiz-Millionäre. In der Folge tauchte er nicht nur als Gast in Talk Shows, sondern auch – etwa als Mitglied im 'Quiz-Olymp' – als Experte in Ratesendungen wieder auf.

Wie bei Computerspielen im Internet ist rund um das Quiz eine wahre Industrie entstanden. Quiz-Moderatoren verbringen nun – das ist richtig! – ihren Berufsalltag mit dem Vorlesen von Fragen, zu denen oft gleich mehrere Antwort-Möglichkeiten mitgeliefert werden. Das Erarbeiten solcher Sets aus Fragen und Antworten dürfte zu einem ebenso kreativen wie lukrativen Beruf mit Zukunft avanciert sein, denn die Nachfrage ist immens. Jede Frage kann nämlich nur ein einziges Mal gestellt werden, ist also reines 'Verbrauchsmaterial'. Zu einigen Formaten sind Bücher, Spiele oder Abreisskalender bzw. Quiz-Apps oder Computerspiele erschienen. Auch im Internet werden unzählige, teils kostenpflichtige Intelligenztests und unendlich viele Parcours aus Fragen angeboten, an denen entlang man sein Allgemeinwissen oder sein Wissen in diversen Spezialgebieten überprüfen kann.

Wie aber lässt sich diese inflationäre Zunahme von Quizangeboten erklären, die lange schon keine 'Modeerscheinung' mehr sind? Woher kommt auf einmal dieses unstillbare Verlangen nach immer neuen Fragen und Antworten? Der Unterhaltungswert heutiger Quiz-Shows unterscheidet sich doch kaum von demjenigen legendärer Rateshows vergangener Jahrzehnte. Auch die Höhe der Preisgelder und die Chance der Zuschauer auf einen Gewinn können – allein schon angesichts der vielen Wiederholungen – unmöglich die ganze Wahrheit hinter diesem Massenphänomen sein.

Aus Sicht der Macher ist der nicht versiegen wollende Wissensdurst ein echter Glücksfall, denn Quiz-Sendungen lassen sich vergleichsweise billig produzieren. Selbst die erspielten Gewinne werden meist durch Werbung finanziert. Für die an der Herstellung der einzelnen Formate beteiligten Mitarbeiter bedeutet der Faszinationstyp 'Quiz' einen festen Job, für die 'Experten' – neben dem Streicheln ihres Egos – eine gute zusätzliche Einnahmequelle, und für die Erfinder und Lizenzgeber eine unerschöpfliche Goldgrube.

Aus Sicht der Kandidaten winken nicht nur Gewinne und regionale oder gar nationale Bekanntheit, sondern steht auch einiges auf dem Spiel… Denn es kann immer passieren, dass man sich in aller Öffentlichkeit bis auf die Knochen blamiert, was grundsätzlich natürlich auch für die sogenannten 'Experten' gilt. Und wer ein solches Risiko nicht scheut, der macht als 'Wettkampftyp' bestimmt auch bei Spieleinlagen eine gute Figur.

Die Zuschauer im Studio und an den Bildschirmen können mitraten und mitfiebern, aber auch ihrer Schadenfreude freien Lauf lassen, wenn Kandidaten bei Fragen ausscheiden, die sie selbst ohne Mühe beantworten konnten. Alle diese Vorteile erklären aber noch immer nicht hinreichend, warum Millionen von Menschen jeden Tag für Quiz-Shows den Fernseher einschalten. Es muss wohl an den Fragen selbst und an deren Beantwortung liegen…

Tendentiell lassen sich die Quiz-Fragen dem Allgemeinwissen – oder einem gehobenen Schulwissen – zuordnen, sie bewegen sich aber durchaus auch im Bereich von Fachwissen, wie es im Studium oder in der Berufsausbildung erworben wird. Schwerpunkte bilden Themenbereiche wie Astronomie, Biologie, Chemie, Entdeckungen, Erfindungen, Ernährung, Film, Flaggen, Geographie, Geometrie, Geschichte, Haushalt, Kunst, Mathematik, Musik, Literatur, Personen der Zeitgeschichte, Physik, Rechtschreibung, Sprachen, Verkehr u.a.m.

Es geht bei den – wie auch immer formulierten – Fragen meistens um Faktenwissen, das man schlicht auswendiggelernt haben muss (etwa: Was hält der Löwe auf der Flagge von Sri Lanka in der rechten Vorderpfote?). Wie sinnvoll oder hilfreich die Kenntnis bestimmter Fakten (etwa des Geburtsjahres oder der Kleidergrösse von Marilyn Monroe) ist, konnte man sich schon bei Trivial Pursuit fragen, einem Brettspiel, das trotz geringerer Verbreitung und Resonanz durchaus als Vorläufer des heutigen Quiz-Angebotes betrachtet werden kann, in dem seit Anfang der 80er Jahre 'Triviale Jagd' auf Antworten zu – alleine in der deutschen Ausgabe inzwischen über 150'000 – Fragen gemacht wird.

Dieser Befund ist umso erstaunlicher, als der Stellenwert und die Verbreitung von Faktenwissen ('positivem Wissen' über die Welt) in der Gesellschaft rückläufig sind. Viel wichtiger ist heute, dass man schon in der Schule erlernt, wie man sich selbständig in neue Wissensgebiete einarbeitet und dabei Fakten von Fiktion unterscheidet. Die Fakten haben inzwischen – vor allem durch das Internet – eine unüberschaubare Dimension angenommen, aber sie veralten auch viel schneller. Viele Berufe, die man derzeit noch erlernen oder studieren kann, werden schon bald von Maschinen und Algorithmen übernommen, etwa der Beruf des Finanzcontrollers. Schon während wir einen Beruf ausüben, müssen wir uns ständig weiterbilden und rechtzeitig neu orientieren. Da kann sich schnell der Eindruck ausbreiten, dass wir permanent viel zu wenig wissen.

Fakten verlieren nicht nur schneller ihre Relevanz und ihre Gültigkeit, wir können uns auch nur noch einen Bruchteil von ihnen merken. Die digitalen Medien bewirken, wie ich an anderer Stelle ausgeführt habe, dass unser Gedächtnis schon lange nicht mehr – ausreichend – trainiert wird und daher schon bei jungen Menschen nur noch die Leistung eines verbrauchten Akkus erreicht. Schlimmer noch: wer vor dem 20. Lebensjahr nicht vor digitaler Demenz geschützt wird, kann die Lernfähigkeit verlieren und ist dann für den Rest des Lebens lernbehindert.

'Quiz-Champions' haben in dieser Hinsicht nichts zu befürchten, denn sie trainieren nichts so sehr wie ihr Gedächtnis. Sie lernen aus den genannten Themenbereichen systematisch so viele Fakten wie möglich auswendig, um diese jederzeit blitzschnell abrufen zu können. Auch Nichtwissen kompensieren sie oft ganz oder teilweise, indem sie vorgegebene Antwort-Möglichkeiten durch Wissen oder aufgrund mangelnder Plausibilität ausschliessen.

Angesichts der Fülle von Fakten über die Welt, die dank Internet allgegenwärtig sind und auch nicht wieder verschwinden, kann man den Faszinationstyp 'Quiz' als kollektive Reaktion auf eine totale Verunsicherung bei der Einschätzung des eigenen Wissens verstehen. Wieviel weiss ich überhaupt – noch – über die Welt? Kann ich die Fragen der Sendung richtig beantworten? Gelingt es mir wenigstens, intuitiv die richtige Antwort herauszufinden? Oder bin ich zumindest in der Lage, einige der falschen Antworten zu erkennen? Wie sehr kann ich mich bei der Orientierung in der Welt noch auf mein Wissen verlassen? Von einem erfreulichen Verlauf des Mitratens kann dann kurzfristig eine beruhigende oder palliative Wirkung ausgehen, die aber angesichts dessen, was man sonst noch alles über die Welt wissen und fragen kann, schnell wieder verpufft. Um Zweifel und Verunsicherung erneut zu verdrängen, braucht man schnell eine neue Dosis 'Quiz', aber zum Glück ist die Quiz-Apotheke ja jetzt jederzeit geöffnet. Umgekehrt kann das Mitraten die Erkenntniskrise – und ebenfalls wieder den Quiz-Konsum – steigern, wenn man nur selten eine der Fragen – richtig – beantworten kann. Aus der Sicht der Produzenten des Quiz-Angebotes handelt es sich also eine wunderbare Win-Win-Win-Situation…

Mehr steckt vermutlich nicht hinter der inflationären Präsenz von Quiz-Sendungen, und mit verunsicherten Menschen lässt sich ja bekanntlich viel Geld verdienen. Abgesehen von Formaten wie 'Wer weiss denn sowas?', das sich auf 12 Fragen pro Sendung beschränkt, die in ausführlichen Filmsequenzen beantwortet werden, ist der Lerneffekt gleich Null. In Schnellraterunden werden die Fragen so hastig vorgetragen und beantwortet, dass für Erklärungen gar keine Zeit bleibt. Auch bei der Auswahl von einer aus drei oder vier vorgegebenen Antworten wird nie erklärt, warum die eine Antwort richtig ist und die anderen falsch sind. So ist man nach einer Sendung wie 'Gefragt – Gejagt' nicht schlauer als vorher. Und bei Sendungen wie 'Quiz-Duell' besteht angesichts des oft sehr schlichten Niveaus der Fragen sogar die Gefahr einer Verdummung.

Wenn die meisten Quiz-Formate aber pädagogisch wertlos sind und die abgefragten Fakten oft nicht einmal einen Hauch von Relevanz für die befragte Person und das Publikum haben, dann kann auch nicht von Wissensvermittlung und Wissenserwerb die Rede sein: dann reduziert sich das Quiz letztlich auf einen Wettbewerb von Gehirn- und Gedächtnisleistungen, zum Teil unter der verschärften Bedingung von Zeitlimits. Je mehr Fakten ich im Kopf habe, desto grösser ist die Chance, dass ich blitzschnell die richtigen Antworten geben, herausfinden oder erraten kann. Das Gelingen lässt sich bis zu einem gewissen Grad trainieren und mit Strategien bzw. Techniken optimieren, spricht aber in der Regel auch für gewisse Fähigkeiten des Gehirns, die gerne unter dem Begriff 'Intelligenz' gefasst werden.

Sollen wir dann jetzt alle einem Quiz-Verein beitreten, um unser Gehirn mit positivem Wissen aufzufüllen und auf die schnelle Erschliessung und Wiedergabe gesuchter Antworten zu trimmen? Wohl kaum, wenn wir künftig nicht genau damit bei Quiz-Veranstaltungen unser Geld verdienen möchten. Doch warum wäre eine solche Empfehlung genauso unsinnig wie die Forderung, dass jetzt alle Menschen – am besten schon als Kleinkinder – das Programmieren erlernen sollen?

So sehr zu begrüssen ist, dass 'Wissen über die Welt' wieder an Wert gewinnt, nachdem unsere Gesellschaften jahrzehntelang auf Fachwissen gesetzt und Menschen mit stark beschränkten Horizonten in Führungspositionen von Politik und Wirtschaft selbst grössere Unternehmen, soziale Sicherungssysteme und ganze Volkswirtschaften an die Wand gefahren haben, so wenig hilft uns das positive Wissen weiter, das in Quiz-Sendungen abgefragt wird und dort neue Fernsehstars hervorgebracht hat, die übrigens in ihren Hauptberufen mehrheitlich gar nichts mit Quizzen zu tun haben.

Wissenserwerb ist besonders dann erfolgreich und Wissenselemente bleiben dann besonders gut im Gedächtnis haften, wenn sie an bereits vorhandenen Wissenselementen andocken können, wie die Teile eines Puzzles, die an der richtigen Position und miteinander verzahnt am Ende ein Bild ergeben. Wir sprechen hier von einem zusätzlichen Wissen, das über die blosse Summe der Einzelteile eines Mosaiks oder Puzzles hinausführt. Umgekehrt werden Wissenselemente wieder vergessen, wenn sie sich nicht an andere anschliessen lassen, um diese zu stützen und von ihnen gestützt zu werden. Dann verringert sich zugleich ihr Wert für die betreffende Person, wie bei einzelnen Teilen aus vielen verschiedenen Puzzles, die sich niemals zu einem Bild verbinden werden. Als isolierte Elemente kann man sie vielleicht noch als Material für Gedächtnisübungen einsetzen, für den Aufbau von Wissen eignen sie sich kaum, wenn sie isoliert bleiben.

Damit ist im Prinzip der Unterschied zwischen 'Information' und 'Wissen' beschrieben. 'Paris ist die Hauptstadt von Frankreich' – das ist zunächst einmal nur eine Information. Erst wenn diese Information überprüft wurde und sich an andere Wissenselemente anschliessen lässt, die ich etwa bei meinen Aufenthalten in der Seine-Metropole, aus der Literatur (Reiseführern, Romanen, Geschichtsbüchern etc.) oder aus Filmen, Dokumentationen, Nachrichtensendungen etc. erworben habe, wird aus einer einzelnen Information ein Element meines Wissens über Paris, über Hauptstädte etc.

Insofern stellt sich bei Quiz-Champions, die viele Fakten (Informationen) auswendiggelernt und sich auch Techniken angeeignet haben, die es ihnen ermöglichen, mit hoher Trefferquote die richtige Antwort aus vorgegebenen Antwort-Möglichkeiten auszuwählen, schon die Frage, in welchem Masse sie Informationen tatsächlich zu Wissen verdichtet haben. Die Verteilung von Wissen, Halbwissen ('ich meine, ich hätte davon schon einmal gehört oder gelesen') und Nichtwissen dürfte in vielen Quiz-Sendungen nicht so sehr von derjenigen der Kandidaten abweichen – der zeitliche Aufwand für das Auswendiglernen von Fakten aus allen möglichen Bereichen des Allgemeinwissens vermutlich schon.

Ein besserer Überblick über die Welt oder ein besserer Durchblick hinsichtlich der Zusammenhänge in der Welt ist von einem derart eklektischen Faktenwissen nicht zu erwarten. Insofern darf der mediengesteuerte Personenkult bei Quiz-Champions nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie keineswegs die Nachfolge von Universalgelehrten wie Immanuel Kant, Alexander von Humboldt oder dessen Bruder Wilhelm antreten. Ihr Wissen über die Welt mündet auch nicht in die Weisheit, welche die Mitglieder von Ältestenräten in der Antike auszeichnete, deren Rat man bei wichtigen Entscheidungen einholte und befolgte. Es geht wohl mehr um eine Art Sport, eine Spezialform des Body Buildings, bei der man seinen Gehirnmuskel trainiert, um anschliessend mit anderen um Geld und Anerkennung zu wetteifern. Deshalb ist auch nicht zufällig bei Quiz-Veranstaltungen von 'Turnieren', 'Meisterschaften' und 'Olympiaden' die Rede. Ein Quiz-Verein ist also vor allem ein Sportverein, bei dem sich allerdings der – sichtbare – Körpereinsatz vergleichsweise in Grenzen hält. Das ist völlig legitim, könnte sich aber allein schon wegen des enormen Zeitaufwandes, der dauerhaft für ein erfolgreiches Gedächtnistraining nötig ist, als Falle für all jene erweisen, die sich von einem Engagement in der Quiz-Szene irrtümlicherweise Fortschritte im Hinblick auf Überblick und Durchblick erwarten.

Denken, vor allem kritisches Denken, wird durch eine aktive oder passive Teilnahme an Quiz-Sendungen und -Veranstaltungen nicht gefördert. Das beweisen vor allem Schnellraterunden, in denen Kandidaten besonders dann erfolgreich sind, wenn sie gar nicht erst nachdenken müssen, sondern vielmehr – wie Pawlowsche Hunde – so konditioniert sind, dass bei ihnen Reize (Fragen) automatisch Reaktionen (Antworten) auslösen. Insofern ist 'Quiz' in allen seinen Erscheinungsformen primär ein 'Gedächtnissport', der vor allem über Konditionierung und Mnemotechniken funktioniert – und weniger ein Denksport, bei dem – wie bei vielen Aufgaben in sogenannten Intelligenztests – eine präzise Wahrnehmung, die Fähigkeit zur Erkennung komplexer Muster und logisches Denken gefragt sind. Im 'Quiz' geht es meistens nicht einmal wirklich um Wissen, sondern bloss um reaktionsschnelle Entscheidungen auf der Basis eines umfangreichen, vermutlich oft anhand eines vorgegebenen Kanons auswendiggelernten Sammelsuriums von Fakten.

Vor diesem Hintergrund möchte ich meine These zum Faszinationstyp 'Quiz' abschliessend noch etwas präzisieren: In der Kommunikationssituation 'Quiz' stehen die aktiven Teilnehmer (Kandidaten, Experten) im Wettstreit um das 'bessere Gedächtnis', sowohl im Hinblick auf die Quantität der gespeicherten Inhalte als auch im Hinblick auf dessen Qualität, die sich an der Reaktionsschnelligkeit beim Verstehen von Fragen und beim Abruf richtiger Antworten zeigt. Ihr Antrieb sind Ehrgeiz, finanzielle Anreize und oft vielleicht auch eine Eitelkeit, wie sie beim Body Building allgemein zu beobachten ist. Die Motivation von Millionen Zuschauern ist anders gelagert, und nur sie sichern – über die Quoten – den einzelnen Quiz-Formaten ihre Existenz…

Zwar kann man – je nach Verteilung der Sympathien – bewusst dem einen oder anderen Kandidaten oder Experten die Daumen drücken und dadurch auch die Spannung besser miterleben, welche insbesondere die Aussicht auf eine hohe Gewinnsumme hervorbringt. Die nachhaltige Faszination verdankt sich aber vielmehr der Befriedigung eines ebenso unbewussten wie stark ausgeprägten Bedürfnisses nach einer Rückvergewisserung im Hinblick auf das eigene 'Wissen über die Welt'. Ich möchte bestätigt bekommen, wovon der Quiz-Champion längst überzeugt ist: dass ich mich in der Welt auskenne, dass ich mitreden kann, dass mir niemand etwas vormachen kann. In einer Welt zerfallender Gewissheiten und digitaler Medien, die unser Gedächtnis zerstören, ist dieses Bedürfnis nur allzugut nachvollziehbar.

Der Faszinationstyp 'Quiz' wäre in einer solchen Perspektive zugleich Symptom einer Sehnsucht, die aus einem (ver)schwindenden 'Wissen über die Welt' und der dadurch ausgelösten Verunsicherung geboren wird. Der hohe Quiz-Konsum lässt vielleicht sogar auf ein anthropologisch konstantes 'Bedürfnis nach Wissen über die Welt' schliessen. Die Aussage, man müsse heute gar nichts mehr wissen, man könne ja alles googeln, konnte sowieso keinen halbwegs gebildeten Menschen überzeugen. Der Wille zum Wissen und zur Weitergabe von Wissen ist ungebrochen, wie auch die Frankfurter Buchmesse gerade wieder erlebbar macht. Der Faszinationstyp 'Quiz' offenbart hingegen eine ernsthafte Erkenntniskrise, auch die Angst davor, in der Gesellschaft den Anschluss zu verlieren, in jeder Hinsicht abgehängt zu werden. Noch so viele Quiz-Sendungen können diese Krise und die Ängste nicht beseitigen, sie können im besten Fall eine kurzfristige Entlastung von dem Druck verschaffen, den sie aufbauen.

Wir sollten uns daher dringend kritisch mit den Ursachen des massiven Quiz-Konsums befassen, der ein 'normales' Mass inzwischen überschritten hat und die Symptome einer Sucht aufweist. Wenn wir die Ursachen genauer kennen, gelingt es uns vielleicht auch, Menschen davon abzubringen oder abzuhalten, jede Menge Zeit damit zu vergeuden und zu vernichten, ihr Gedächtnis mit einem Sammelsurium aus irgendwelchen Fakten vollzustopfen, was ihnen für ihr Leben genausowenig bringt wie die Geschicklichkeit, die man mit einem ähnlich hohen Zeitaufwand bei der Bedienung einer Spielekonsole entwickeln kann.