Rückschritt durch Technik

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Von Ausnahmen – wie etwa der Erfindung des Dynamits oder der Atombombe – abgesehen, verstehen wir seit jeher die Technik-Geschichte mit ihren bahnbrechenden technologischen Errungenschaften als eine Fortschrittsgeschichte, die immer mehr Menschen ein immer bequemeres und angenehmeres Leben ermöglicht hat. Diese Lesart steckt auch hinter dem Slogan 'Vorsprung durch Technik' eines deutschen Automobilherstellers, auf den ich natürlich anspiele, wenn ich in meinem Blog nun eine Rubrik 'Rückschritt durch Technik' eröffne.

Mich faszinierten immer schon Paradoxien, also Phänomene, die sich unserer Logik entziehen und mit dieser nicht auflösen lassen. Dazu zählen etwa die von Paul Watzlawick beschriebenen 'selbsterfüllenden Prophezeiungen', bei denen die Vorhersage eines Ereignisses ('Es wird eine Benzinknappheit geben') zur Ursache dafür wird, dass das Ereignis tatsächlich eintritt ('Alle füllen sofort ihren Tank, das Benzin wird knapp'). Ganz besonders aber interessieren mich Paradoxien, bei denen Menschen mit den besten Absichten auf ein Ziel hinarbeiten ('Warnung vor der Klimakatastrophe, um die Menschheit vor dem Aussterben zu retten'), wobei dann aber unbeabsichtigte Nebenwirkungen auftreten, die dazu führen, dass nicht nur das Ziel nicht erreicht wird, sondern genau das eintritt, was man eigentlich verhindern wollte (Die Menschheit stirbt aus, weil infolge der Warnungen niemand mehr Kinder in diese durch Katastrophen bedrohte Welt setzt).

Niklas Luhmann, einer meiner akademischen Lehrer, war vor über 30 Jahren der Überzeugung, wir müssten lernen, solche Paradoxien auszuhalten und mit ihnen zu leben. Die grösste Bedrohung der Menschheit sah er nicht in einem Übermass an Komplexität und Paradoxien, sondern eher in Gestalt von Viren und Bakterien auf uns zukommen. Er sollte mit seiner Annahme recht behalten, wie wir nun – gut zwei Jahrzehnte nach seinem Tod – schmerzlich zur Kenntnis nehmen. Und dennoch machen uns inzwischen auch Komplexität und Paradoxien immer mehr zu schaffen, weil auch sie nun die Dimension existentieller Bedrohungen erreichen können. Im Zeitalter der Digitalisierung, die mit der kleinstmöglichen Differenz, nämlich den Ziffern (englisch: digits) 1 (Strom an) und 0 (Strom aus) die grösstmögliche Komplexität erzeugt, mit der viele Menschen bereits hoffnungslos überfordert sind, lassen sich Paradoxien nun fast überall beobachten.

Viele technologische Errungenschaften, allen voran die digitalen Medien mit ihren Apps, werden von unbeabsichtigten Nebenwirkungen begleitet, die einen vermeintlichen technologischen Fortschritt unter dem Strich auf einen echten Rückschritt zusammendampfen können. Insbesondere digitale Produkte und Dienstleistungen werden oft viel zu früh auf den Markt geworfen, bevor sie ausreichend getestet und in allen Aspekten zu Ende gedacht werden konnten. Viele Nebenwirkungen machen sich deshalb erst mit einer Verzögerung bemerkbar, in der Regel beim Endkunden. Schlimmer noch: zum Zeitpunkt ihrer Wahrnehmung ist es für eine Korrektur oft schon zu spät. So können'Rückschritte durch Technik' in einer globalisierten Welt immense, irreparable Schäden hervorbringen, die durchaus mit denjenigen vergleichbar sind, die das Corona-Virus gerade auf der ganzen Welt verursacht.

Erklärtes Ziel der neuen Rubrik 'Rückschritt durch Technik' ist es, anhand von Fallbeispielen für solche Entwicklungen und Gefahren zu sensibilisieren, damit Sie Ihre eigenen Fallstricke rechtzeitig entdecken und sich sicher zwischen ihnen bewegen. In allgemeinerer Form war davon ja auch bisher schon in den meisten Beiträgen dieses Blogs die Rede. Nun soll es ganz konkret werden. Die ersten Fallstudien werden sich mit Software-Lösungen (Apps) beschäftigen, die man nicht mehr kauft, sondern nur noch über das Internet mietet und bedient, sozusagen unter den Augen des jeweiligen Vermieters (Software-as-a-Service). Gegen die ebenso vollmundigen wie stereotypen Anpreisungen der vielen angeblichen Vorteile durch die Anbieter selbst stelle ich die Nebenwirkungen und die anderen Nachteile, die gerne verschwiegen werden oder eben noch gar nicht erkannt wurden. Wo diese in der Praxis wirksam werden, wächst schnell die Einsicht, dass es besser gewesen wäre, sich nie von den nun unübersehbar leeren Versprechungen blenden zu lassen. Die Erkenntnis kann schmerzhaft sein, wenn sich abzeichnet, dass der Weg zurück mit einem erheblichen Zeit- und Kostenaufwand verbunden ist. Reichen die finanziellen Ressourcen dann nicht aus, kann schnell eine Abwärtsspirale mit den schlimmsten Folgen in Gang kommen…

Sie kennen aus eigener Erfahrung Beispiele, wo die Einführung neuer Technologien keine nennenswerten Verbesserungen, dafür aber jede Menge Verschlechterungen im Vergleich zur vorherigen Situation gebracht hat? Dann schreiben Sie mir doch gerne darüber… vielleicht eignen sie sich ja als Fallbeispiel für unsere neue Rubrik…