Die beiden Ebenen der Kommunikation

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Bücher lösen zwar keine Revolutionen aus, sie können uns aber prägen und unserem Leben eine Wendung geben… Indem sie uns Geschichten erzählen, mit denen wir unserer Alltagswelt entfliehen und die natürlichen Grenzen unserer Lebenswelt hinter uns lassen. Indem sie uns unbekannte Welten beschreiben und an Wissensgebiete heranführen. Oder indem sie uns kleine und grosse Zusammenhänge erklären und dadurch zu einem besseren Verständnis der Welt beitragen. Der geniale italienische Semiotiker und Schriftsteller Umberto Eco (1932-1916) hat in seinem Meisterwerk Der Name der Rose einmal genüsslich und mit viel Liebe zum Detail das gesamte Repertoire literarischer und sprachlicher Ausdrucksformen durchkomponiert, wie es nur ein Universalgelehrter versteht, zu dessen Spezialgebieten auch die Wissenschaft von den Zeichensystemen zählt.

In Büchern steckt das Potential, uns für bestimmte Sachverhalte die Augen zu öffnen und etwas auf den Begriff zu bringen, das wir vorbewusst schon lange geahnt oder gespürt haben. Welche Bücher sich dazu am besten eignen, hängt von persönlichen Neigungen, aber auch davon ab, in welcher Zeit, in welcher Kultur und in welchem Umfeld wir aufwachsen und leben. Das Wissen, das wir bei der Lektüre an ein Buch herantragen, spielt ebenfalls eine Rolle.

Mich faszinieren seit den Anfängen meines Studiums vor allem wissenschaftliche Theorien. Ihnen verdanke ich viele Aha-Erlebnisse und Antworten auf Fragen zu all den Wissensgebieten, in die ich aus Neugier immer wieder hineinstolpere. Seitdem nehme ich die Welt wie durch ein Weitwinkel-Objektiv und mit grösserer Tiefenschärfe wahr.

Im Rückblick war es ein besonderer Glücksfall, dass ich mich als Nachkriegsdeutscher – auch wegen vieler unbeantworteter Fragen – mit dem Land meiner Vorfahren nie so richtig identifizieren konnte. Der Austausch mit Menschen aus anderen Kulturen und in anderen Sprachen stellte für mich einen echten Ausweg dar, eine regelrechte Befreiung aus dem allzu engen Korsett der deutschen Sprache. Weshalb mir das Diktum des Soziologen Theodor W. Adorno (1903-1968), nach Auschwitz sei ein Gedicht in deutscher Sprache nicht mehr möglich, unmittelbar einleuchtete. Und weshalb ich so beindruckt war, dass und wie der Lyriker Paul Celan (1920-1970) kurz vor Kriegsende mit seiner Todesfuge dennoch einen Weg fand, das Unsagbare in einem nicht zufällig als 'opak' geltenden Gedicht (!) über die Shoah in Worte zu fassen.

Menschliche Sprachen erweitern Horizonte. Sie können intensive Gefühle von Freiheit und Unabhängigkeit hervorbringen. Sprachen konstruieren und strukturieren die Wirklichkeit(en) ihrer jeweiligen Kulturen unterschiedlich. Die Funktionen und die Funktionsweisen von Kommunikation und Interaktion hingegen sind, soweit ich das überblicke, in allen Kulturen weitgehend identisch… und genau darum soll hier gehen.

Zu den Wissenschaftlern, die mein Denken – auch in persönlichen Begegnungen – geprägt haben, gehört – neben den Soziologen Thomas Luckmann (1927-2016), Pierre Bourdieu (1930-2002), Niklas Luhmann (1927-1998) und Norbert Elias (1897-1990) – auch der österreichische Kommunikationswissenschaftler, Psychotherapeut und Philosoph Paul Watzlawick (1921-2007).

Ihm – sowie Janet H. Beavin (*1940) und Don D. Jackson (1920-1968) – verdanken wir das Standardwerk Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien (1969), in dem sie gemeinsam eine Theorie der menschlichen Kommunikation entwickeln, mit der sich kommunikative Prozesse und kommunikative Störungen hervorragend analysieren, beschreiben und verstehen lassen – heute wie damals. Anhand aktueller Beispiele, die wir alle kennen und eventuell noch nicht so ganz einordnen können, möchte ich nachfolgend eine Idee von dem Erklärungspotential vermitteln, das in dieser Kommunikationstheorie steckt, und dazu einladen, die präsentierten Erkenntnisse für sich zu entdecken, sofern noch nicht geschehen, und künftig bei der Interpretation kommunikativer Prozesse und Störungen einzubeziehen.

Die Theorie wird im wesentlichen über fünf Axiome entfaltet, die längst über die Fachgrenzen hinaus bekannt sind und zum gehobenen Allgemeinwissen gehören…

(1) Die Unmöglichkeit, nicht zu kommunizieren

Der erste Grundsatz stellt heraus, dass man nicht nicht kommunizieren kann. Selbst wenn man in einer bestimmten Situation schweigt, sagt man – gewollt oder ungewollt – damit etwas aus. Wie das Schweigen jeweils interpretiert wird, entzieht sich allerdings der Kontrolle der Person, die sich einer Reaktion enthält. Wer solche Kontrollverluste als unangenehm empfindet, wird sich intuitiv immer veranlasst sehen, auf Mitteilungen umgehend zu antworten, etwa mit einem Like auf die Posts von Personen, mit denen man in den sozialen Medien vernetzt ist. Ich stelle mir vor, dass viele Millionen Likes jeden Tag nur einem unguten Gefühl geschuldet sind, was der Andere sonst von mir denken könnte.

Daneben ist heute überall zu beobachten, dass Menschen sich gerne stillschweigend aus Konflikten heraushalten, obwohl sie Personen, denen – etwa durch Mobbing – Unrecht widerfährt, zu Hilfe kommen könnten. Auch die Bereitschaft, Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen, für die es Begriffe wie 'Haltung' oder 'Rückgrat' gibt, hat in den Unternehmen, aber auch in der Politik stark abgenommen. Die Angst, sich zu exponieren und dadurch angreifbar zu machen, eventuell mit der Folge, den Job, einen Kunden oder ein Mandat zu verlieren, scheint grösser zu sein als die Angst vor dem Image eines Feiglings, eines Schwächlings oder eines Menschen ohne Eigenschaften, der ganz egoistisch andere im Stich lässt, wenn es darauf ankommt.

Das Axiom zerlegt zugleich den Mythos der 'Neutralität'. Wer sich aus einem Konflikt heraushält und sich weigert, Stellung zu beziehen und ggf. helfend einzugreifen, schwächt damit – absichtlich oder unabsichtlich – den Schwächeren und stärkt den Stärkeren. Auch in dem Fall gibt man die Kontrolle darüber ab, wie andere dieses Verhalten interpretieren und bewerten bzw. welche Konsequenzen sie daraus ziehen.

(2) Die Inhalts- und Beziehungsaspekte der Kommunikation

Auch dem zweiten Axiom, das dieser Beitrag aufgrund seiner besonderen Relevanz in den Mittelpunkt stellt, begegnet man in dem einen oder anderen Kontext, so auch in meinem Blog. Es besagt, dass die gesamte – verbale und nonverbale – Kommunikation zwischen Menschen stets auf zwei Ebenen gleichzeitig verläuft: auf der Sachebene und auf der Beziehungsebene. Kommunikation unterscheidet sich konkret immer hinsichtlich des Beteiligungsverhältnisses der beiden Ebenen… und kommunikative Störungen treten oft dann auf, wenn man sich auf mindestens einer der beiden Ebenen 'nicht versteht'.

Ein Vortrag – etwa – kann sich rein auf der sachlichen Ebene abspielen und die Zuhörer komplett ausblenden. Das ist nachweislich immer dann der Fall, wenn eine vollständig ausgearbeitete schriftliche Vorlage einfach abgelesen wird, gerne auch von einer bis zur Unleserlichkeit mit Text überfrachteten Powerpoint-Präsentation. Gänzlich absurd wird es dann, wenn die für Zuhörer an sich schon viel zu schnelle Lesegeschwindigkeit auch noch erhöht wird, weil weniger als die ursprünglich anberaumte Zeit zur Verfügung steht. Meistens bemerken solche Referenten ihr grandioses Scheitern nicht einmal, auch weil die Zuhörer die ganze Zeit verständnisvoll nicken, um sich keine Blösse zu geben. Besser wäre es jedenfalls, den Text einfach auszuteilen, anstatt unbemerkt zu einer Zumutung für die Zuhörer zu werden.

Ein Vortrag, der die Beziehungsebene einbezieht, nimmt Rücksicht auf das Publikum und entwickelt den Inhalt freisprechend anhand einiger weniger Stichwörter, mit der für mündliche Kommunikation üblichen Redundanz. Die Argumente werden mit anderen Worten noch einmal formuliert, um das Verständnis sicherzustellen. Hinzu kommen Nachfragen nach der Verständlichkeit der Ausführungen. Powerpoint-Präsentationen können einen Vortrag – etwa mit einzelnen Zitaten oder Beispielen – ergänzen, sie sollten das Gesagte nicht schriftlich abbilden. Das krampfhafte Festklammern bei Vorträgen an druckreifen Manuskripten ist jedenfalls der denkbar schlechteste Ersatz für fehlende sachliche und kommunikative Kompetenz und Souveränität.

Anonyme Kommunikation findet oft nur auf der Sachebene statt und erscheint dann kalt und funktional. Schon mit einem Lächeln und/oder einem kurzen persönlichen Wortwechsel kommt sofort – etwa an der Supermarktkasse – die Beziehungsebene ins Spiel. Sogenannte 'phatische' Kommunikation findet dagegen – fast – ausschliesslich auf der Beziehungsebene statt, etwa im Falle der ungezählten Wiederholungen von 'Ich liebe Dich' oder bei einem Besuch der hochbetagten Grossmutter. Dabei geht es dann weniger – oder gar nicht mehr – um den Austausch von Neuigkeiten, sondern primär um die Herstellung eines Moments intensiver emotionale Nähe.

Interessant ist eine Betrachtung der Kommunikation in den sozialen Medien unter dem Gesichtspunkt der Beteiligung der beiden Ebenen. Die sozialen Plattformen bieten die Möglichkeit, sich mit anderen Menschen zu vernetzen und ihnen zu folgen. Das Interesse der Follower kann sich ausschliesslich auf den Inhalt der Beiträge, Artikel und Kommentare anderer beziehen. Sobald jemand seine Posts aber – fast – immer mit einem Selfie 'garniert', egal, ob es einen inhaltlichen Zusammenhang zwischen Bild und Text gibt, lässt sich nicht mehr feststellen, ob es um die Informationen oder um die Person geht. Da vor allem Menschen, die sich ihrer Attraktivität bewusst sind, Selfies absichtsvoll einsetzen, freilich ohne dies offen einzugestehen, liegt die Interpretation nahe, dass vor allem über die Beziehungsebene Resonanz erzeugt werden soll. Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, wenn dieselben Personen als Reaktion auf einschlägige Kritik immer wieder zu verstehen geben, dass sie nicht auf Äusserlichkeiten reduziert werden möchten.

Es ist jedenfalls nicht von der Hand zu weisen, dass sich die Selfies auf die Anzahl der Likes und der Follower auswirken und dass sich daraus so manches Selbstwertgefühl speist. Es ist auch das gute Recht, sein 'natürliches Kapital' – anstelle von bzw. – neben 'kulturellem Kapital' und 'ökonomischem Kapital' in die Waagschale zu werfen, um als 'Influencer' Geld zu verdienen.

Sie konkurrieren damit allerdings schon seit einiger Zeit – und nicht mehr lange – mit sogenannten 'KI-Models' wie Milla Sofia, die mit Künstlicher Intelligenz erschaffen und mit einem eigenen Profil als '24jähriges Mädchen aus Helsinki Finnland' in den sozialen Medien ausgestattet wurde. Milla Sofia ist seit 2019 auf Twitter unterwegs, hat inzwischen über 23'000 Follower und postet regelmässig Bilder von sich, die ihre ganze – künstlich hergestellte – Schönheit in unterschiedlichsten Settings zur Schau stellen. KI-Models gehört die Zukunft als Werbeträgerinnen für Produkte und Dienstleistungen, weshalb sich die jetzigen Influencer auf einen baldigen Jobverlust vorbereiten sollten, um nicht böse überrascht zu werden. An den Kommentaren zu den 'Photos', die eigentlich Grafiken sind, und den Videos, die eigentlich Animationen sind, lässt sich beobachten, dass viele Menschen offenbar schon nicht mehr erkennen können, dass es sich nicht um ein Mädchen aus Fleisch und Blut handelt, das da anscheinend zufällig so makellos dem eigenen Schönheitsideal entspricht.

Ebenfalls typisch für die Kommunikation in den sozialen Medien ist die Verwendung von Emojis, um Textnachrichten zu ergänzen oder zu ersetzen. Mit einem Smiley kann ich mir die Eingabe eines ganzen Satzes ersparen und zugleich eine Emotion befördern. Interessant erscheint mir hierbei die Möglichkeit, mit einem abschliessenden Smiley eine Kritik in der Sache als 'konstruktive Kritik' auszuweisen und damit einer Interpretation als 'persönlicher Angriff' den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Cyber-Mobbing ist ein anderes, leider weitverbreitetes Phänomen in den sozialen Medien. Unbändiger Hass sucht sich seine Opfer aus, ohne sie zu kennen und ohne irgendeinen Kausalzusammenhang. Die Nachrichten sagen also nichts über die Opfer aus, sondern nur etwas über die Täter. Sie wollen anderen Menschen schaden, was ihnen – vor allem im Schutz der Anonymität – oft auch gelingt und aus Opfern hilflose, wehrlose Opfer macht. Die oft gestellte Frage lautet: Wie soll ein Opfer sich am besten verhalten? Auf der Sachebene reagieren und falsche Behauptungen richtigstellen? Auf der Beziehungsebene der Kommunikation mit gleicher Münze zurückzahlen? Ich denke, die Antwort kann – jenseits unterschiedlicher Temperamente – nur lauten: sich möglichst nicht zu einer Reaktion hinreissen lassen, durch die überhaupt erst eine Verbindung auf der Beziehungsebene hergestellt wird, was kein Opfer wollen kann. Am wirksamsten dürfte sein: Nachricht löschen, Absender blockieren, Missbrauch melden.

Die Reaktionen der Plattformbetreiber müssen allerdings viel schneller werden, um die Opferseite zu stärken, wozu man sie mit dem nötigen politischen Willen und der Androhung empfindlich hoher Sanktionen zwingen muss. Gegen sogenannte 'digitale Gewalt' muss konsequent vorgegangen werden, und sei es durch die Einführung einer Login-Prozedur, die auf einer eindeutigen, für die Strafverfolgung nutzbaren Identifizierung jeder einzelnen Person beruht.

(3) Die Interpunktion von Ereignisfolgen

Beim dritten Grundsatz geht es darum, dass in kommunikativen Prozessen jede Nachricht zugleich Ursache (Auslöser der nächsten Nachricht) und Wirkung (Reaktion auf die vorherige Nachricht) ist. Dabei können Störungen in Gestalt kommunikativer Zirkel entstehen, die sich ohne therapeutischen Eingriff von aussen in der Regel nicht mehr auflösen lassen, ohne die Beziehung zu zerstören. Das klassische Beispiel dazu lautet: 'Er nörgelt, sie zieht sich zurück. Er nörgelt, weil sie sich zurückzieht. Sie zieht sich zurück, weil er nörgelt'. Dieses Phänomen lässt sich derzeit sehr gut – etwa – bei der Kommunikation zwischen den Befürwortern und den Gegnern des Genderns beobachten. Die Argumente auf der Sachebene sind ausgetauscht, die Fortsetzung der Kommunikation findet dann auf der Beziehungsebene statt, wo sie sich ideologisch aufheizt und nur noch darin besteht, die jeweils andere Position zu diskreditieren. Ohne Hilfe von aussen kann eine solche Auseinandersetzung sehr verbissen geführt werden.

Um eine solche Situation gar nicht erst entstehen zu lassen, tut man gut daran, die Kommunikation von Anbeginn auf der sachlichen Ebene zu halten und den Sprung auf die persönliche Ebene nicht zuzulassen. Solche ideologischen Grabenkämpfe beschränken sich bei weitem nicht auf die Gender-Thematik, sondern sind typisch für unsere Zeit, in der über die sozialen Medien der grösste Unsinn durch Millionen Likes in den Status einer 'Wahrheit' erhoben werden kann. Um sie herum bilden sich dann Blasen, die immer wieder unversöhnlich aufeinanderprallen. Es kann noch gar nicht abgeschätzt werden, wie sich die Auflösung der Gewissheiten auf unsere Gesellschaften auswirken wird.

(4) Digitale und analoge Kommunikation

Das vierte Axiom meint etwas anderes als das, was wir im Zeitalter der Digitalisierung darunter verstehen. Es ging Watzlawick darum, auf einen Unterschied zwischen der – eher sprachlichen – Kommunikation auf der Sachebene und der – eher nonverbalen – Kommunikation auf der Beziehungsebene hinzuweisen. 'Analog' meint die Kommunikation über Ähnlichkeiten, wie sie für Emojis oder Photos typisch sind, während 'digital' sich auf Kommunikation über  Zeichensysteme wie menschliche Sprachen bezieht, bei denen die Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem willkürlich sind und ohne vorgängigen Lernprozess unverständlich bleiben.

Über diese Unterscheidung wird ganz gut das Missverständnis erklärbar, das dem Gendern zugrundeliegt. Durch künstliche Veränderungen auf der Symbolebene menschlicher Sprache, deren Verbindung zu den Bedeutungen willkürlich ist, erwartet man sich eine andere Wahrnehmung biologischer und psychologischer Geschlechter. Zeichen wie 'Gendersternchen' funktionieren aber nicht wie ein Smiley – aufgrund einer analogen Ähnlichkeit. Man muss lernen, wofür sie stehen, und dazu überhaupt erst einmal bereit sein. Niemand lernt etwas, das er nicht für relevant hält. Und weil es kein unmittelbares Verstehen wie bei einer analogen Abbildung gibt, gibt es auch keine Kontrolle darüber, was jemand denkt und versteht, wenn er ein 'Gendersternchen' sieht oder einen 'Gender Gap' hört. Es gibt also gar keinen Unterschied zu einem Begriff wie 'die Bürger', bei dem man ebenfalls lernen muss, dass darunter alle biologischen und psychologischen Geschlechter gefasst werden. Verständnis kann nur über Lernprozesse hergestellt werden, nicht durch sprachliche Zeichen, die keinerlei Ähnlichkeiten mit dem besitzen, was sie bezeichnen oder bezeichnen sollen.

(5) Symmetrische und komplementäre Interaktionen

Mit dieser Unterscheidung weist Watzlawick darauf hin, dass es in der Interaktion zwei unterschiedliche Arten von Beziehungen gibt, die einen Einfluss auf die Kommunikation besitzen. Als 'symmetrisch' werden Interaktionen bezeichnet, die 'auf Augenhöhe' stattfinden und auf Gleichheit bzw. die Beseitigung von Ungleichheit abzielen. Im Falle 'komplementärer' Interaktionen gibt es ein hierarchisches Gefälle zwischen den Beteiligten, deren Unterschiedlichkeiten sich wechselseitig ergänzen.

Auch nach meiner Erfahrung gibt es Menschen, die primär immer wieder das suchen, was sie bereits kennen, und Menschen, die sich primär für das Neue und Unbekannte interessieren. Auch die Unterscheidung dieses Axioms hilft dabei, kommunikative Prozesse besser zu verstehen. Eine Eltern-Kind-Beziehung, aber – etwa – auch eine Lehrer-Schüler-Beziehung wird oft als 'komplementär' betrachtet, genauer gesagt: eigentlich nie auf Augenhöhe. Wissen wird immer nur von einem Partner (Eltern, Lehrer) zum anderen (Kind, Schüler) weitergegeben, ein substantieller Abbau oder gar ein Verschwinden des Wissensvorsprungs ist dabei nicht mitgedacht.

Folglich macht es einen grossen Unterschied, wenn – trotz eines vorhandenen Gefälles – von einer symmetrischen Interaktion ausgegangen wird, der es ja immer auch darum geht, Unterschiede abzubauen und auszugleichen. Wer Kindern und Schülern – und eigentlich allen Menschen – 'auf Augenhöhe' begegnet, bringt ihnen Respekt entgegen, behandelt sie anders als von einer überlegenen Position aus. Das bleibt natürlich nicht unbemerkt und stärkt das Selbstbewusstsein und das Selbstwertgefühl. Nicht zuletzt auch deshalb, weil bei einer solchen Beziehung mitgedacht wird, dass die Eltern etwas von ihren Kindern und die Lehrer etwas von ihren Schülern lernen können.

Symmetrische Interaktion, bei der das Verhältnis auf der Beziehungsebene von Gleichheit und Respekt gekennzeichnet ist, ermöglicht eine Konzentration auf die Sachebene der Kommunikation, kann daher tendentiell viel erfolgreicher sein. Allerdings kann sie auch dazu führen, dass auf der Sachebene gar kein Austausch mehr stattfindet. Stattdessen klopft man sich in den sozialen Medien nur noch anerkennend und wohlwollend wechselseitig auf die Schulter, weil man sich in der Sache ja einig ist… egal in welcher. Ein auffälliges Beispiel dafür sind die sogenannten 'digitalen Nomaden', die sich wechselseitig immer wieder bestätigen (müssen), mit ihrer Entscheidung für ihre spezielle Lebens- und Arbeitsform richtigzuliegen, obwohl sie kein gesamtgesellschaftliches Modell darstellt, sondern im Gegenteil genau auf die Gesellschaft und auf die Arbeitswelt angewiesen bleibt, denen sie den Rücken kehrt.

Symmetrische Interaktion charakterisiert  die Kommunikation in sogenannten 'Blasen', sie schafft Identität nach innen und grenzt nach aussen ab. Komplementäre Interaktion findet zwischen den 'Blasen' statt, wobei sich jede Seite in der überlegenen Position versteht… Daraus entsteht dann schnell Kommunikation, die sich auf der Sachebene nichts mehr zu sagen hat und rein auf der Beziehungsebene die Geringschätzung des Anderen zum Ausdruck bringt. Diese Asymmetrie ist gefährlich für den Zusammenhalt der Gesellschaft und eigentlich ein kleinbürgerliches Phänomen. Es geht dann nicht mehr um Verständigung und die Möglichkeit, vom anderen zu lernen, sondern nur noch darum, seine – vermeintliche – Überlegenheit zur Schau zu tragen und sich darüber mit Bedeutsamkeit aufzuladen…

Fazit

Die wenigen Praxisbeispiele für kommunikative Prozesse und kommunikative Störungen, die ich im Rückgriff auf die Kommunikationstheorie von Paul Watzlawick zu beschreiben und zu erklären versucht habe, müssen an dieser Stelle als Einladung zum Weiterdenken genügen. Die Theorie ist – natürlich – viel komplexer, etwa im Hinblick auf die möglichen kommunikativen Störungen und Paradoxien, zu denen auch die bekannten 'selbsterfüllenden Prophezeiungen' zählen, bei denen die Vorhersage einer Wirkung ('Mathematisch Begabte haben Probleme mit dem Erlernen von Sprachen') zur Ursache dafür wird, dass die Wirkung tatsächlich eintritt ('Mathematisch Begabte vergeuden ihre Zeit nicht mit etwas, zu denen ihnen offenbar das Talent fehlen soll – und schneiden dann schlecht bei den Tests im Sprachunterricht ab').

Die Lektüre des gesamten Buches lohnt sich. Danach sehen Sie menschliche Kommunikation mit anderen Augen. Sie werden in die Lage versetzt, kommunikative Prozesse besser zu verstehen und zu kontrollieren, auch im Sinne einer Vermeidung kommunikativer Störungen. Es wird Ihnen besser als bisher gelingen, Kommunikation strikt auf der sachlichen Ebene zu halten, wo immer dies angebracht ist, und nicht – mehr – zuzulassen, dass konstruktive Kritik auf der Sachebene in einen persönlichen Angriff auf der Beziehungsebene umgewandelt wird… mit einer entsprechenden emotionalen Reaktion.